Montauk II – [Post]Moderne Autoren unter sich
Gestern habe ich darüber berichtet, dass ich hier ein kleines Lese-Experiment mit Max Frisch und seinem Montauk starte... heute will ich nochmals auf den Beginn eingehen, weil der Anfang von Montauk, ein ganz Besonderer ist wie bei Italo Calvino`s "Winter-Reisenden", an den ich mich erinnert fühle.
BEIDE, Max Frisch wie auch Italo Calvino in seinem Roman Wenn ein Reisender in einer Winternacht adressieren ihre[n] Leser[in] gleich im ersten hin geschriebenen Satz.
Und dennoch wählen beide Schriftsteller doch bewusst verschiedene Protagonisten:
Calvino`s Protagonist ist im gesamten Roman, stets der Leser selbst. Durchgängig adressiert er ihn, das DU, das imaginäre Gegenüber, das Lese-Publikum. Das macht er schon in diesen ersten Sätzen klar, denn in dem Stil geht es weiter. Er fordert seinen Leser auf, sich erst einmal eine bequeme Lesehaltung zu suchen, die Lampe richtig einzustellen, später listet er alle Widerstände auf, die sich dem Lesen entgegenstellen usw. usf.
Frisch dagegen macht durch die bewusste Auswahl jener ersten zehn Zeilen unmissverständlich klar; drückt seine Botschaft, die er bei Montaigne entlehnt, seinem Leser mehrfach auf die Augen: Er ist gewillt über sich selbst zu schreiben. Er selbst ist der Protagonist. Das kommt drei Mal in den zehn Zeilen so überdeutlich, dass eine[r], der zu lesen beginnt, es nicht übersehen kann. Und damit auch nicht, dass er, Max Frisch als Autor, zugleich der Erzähler und die handelnde Roman-Hauptfigur , also der Protagonist, ist.
Interessant scheint mir,
was Frisch über den Umgang mit dem Leser, mit seinem "imaginären Publikum" schreibt [das weiß ich zufällig schon, weil ich heute Morgen, kaum dass der junge Tag erwacht, mir den Roman [´Mon´to:k – gesprochen] griff, mich in meine Wohnküche verkrümelte, als alles noch im häuslichen Dornröschenschlaf. Ansonsten hätte ich es wohl wie Calvino laut gesagt, wenn nicht sogar geschrien: "Ich lese! Ich will nicht gestört werden! Ich fang gerade an den Roman ´Mon´to:k von Max Frisch zu lesen!"
So war ich froh, in Ruhe weiter lesen zu können, meine halbe tägliche Stunde, die ich mir verordnet wie ein Arzt seinem Patienten: "Einmal täglich, Max Frisch. ´Mon´to:k. Bitte nicht auf nüchternen Magen. Am besten, Sie nehmen die dreißig Minuten bei einer Tasse Cappuccino oder Latte Macchiato ein. Kaffee oder Tee geht selbst verständlich auch. Ideal wäre, immer zur gleichen Uhrzeit, also morgens oder gleich nach dem Mittagessen, nachmittags ´Mon´to:k einzunehmen!"
So las ich ungestört die nächsten neunzehn Seiten. Nach dem ersten verordneten Lesedrittel des heutigen Tages war ich an der Stelle angelangt, bei der auch ein Max Frisch gesteht, ein "imaginäres Publikum" zu benötigen, um schreiben zu können [so wie ich auch ;-) – aber vermutlich braucht das ein jede[r], der schreibt, [s]ein imaginäres Publikum!? Dazu würde ich gern die sehr geschätzte Meinung all jener hören, die tatsächlich vom Schreiben, also vom Schriftstellern im engeren Sinne, leben. Manch eine[r] besucht ja auch manchmal mein Blog [worüber ich mich sehr geehrt fühle] und liest hier [manchmal * hin und wieder * sporadisch ;-)] mit, hinterläßt auch einen Kommentar oder schreibt eine kleine E-mail. Ich will jetzt keine[n] bestimmte[n] benennen. Ich liefe sonst Gefahr, irgendeine[n] zu vergessen und das wäre mir unangenehm, sehr unangenehm. Vielleicht outet sich ja mal eine[r], während meines Montauk-Lese-Experiments. Wer weiß!? Schaung` mer mal ;-)
Jedenfalls bekennt Frisch (auf Seite 1542), "die Wahrheit ist, dass ich schreibe, um mich auszudrücken. Ich schreibe für mich. Die Gesellschaft, welche auch immer, ist nicht mein Dienstherr, ich bin nicht ihr Priester oder auch nur Schulmeister. Öffentlichkeit als Partner? Ich finde glaubwürdigere Partner. Also nicht weil ich meine, die Öffentlichkeit belehren oder bekehren zu müssen, sondern weil man, um sich überhaupt zu erkennen, ein imaginäres Publikum braucht, veröffentliche ich. Im Grunde schreibe ich aber für mich selbst…"
Diese Zeilen sind mir ein Indiz dafür, dass Frisch ursprünglich [und das möchte ich ausdrücklich betonen, daher setze ich dieses Wort in fetter Schrift] nur für sich geschrieben hat. Der Beweis findet sich auch in jenem Einstiegszitat von Montaigne >>> hier in dem zweiten Satz des Zitat "Ich habe es dem persönlichen Gebrauch meiner Freunde und Angehörigen gewidmet, wenn sie mich verloren haben"<<<
Dies treibt mich zu der Kernfrage:
Hatte Frisch ursprünglich gar nicht vor, zu seinen Lebzeiten diese Erzählung zu veröffentlichen? Schrieb er in bester Absicht nur für die Schublade und damit wirklich für sich selbst?
Ist es ein Zufall, meine lieben Leser[innen], dass ich erst jetzt, beim Zurückblättern, beim Suchen dieses Montaigne`schen Anfangs-Zitats den Titel aufblättere? DA steht groß und deutlich:
Dennoch hinterfrage ich kritisch: Ist diese "Geschichte" wirklich eine Erzählung? Ist sie nicht doch ein Roman? Was ist e s ? Am Ende gar eine Autobiografie? Eine Art viertes Tagebuch?
[Denn wir alle wissen, spätestens seit jenem Hinweis vom Bücherblogger: Max Frisch hat Tagebuch geschrieben und immerhin drei wurden veröffentlicht!] Kann es sein, dass Montauk eine Art verkapptes Tagebuch ist?
Nun denn, wir werden es sehen, liebe Leser[innen], wie Sie und ich, die wir im Verlauf der nächsten Zeit dieses Werk rezipieren, wie wir dieses M o n t a u k wahrnehmen: wirklich als Erzählung? Oder eher als Roman? Oder doch wie ein chronistisch-literarisch geschriebenes Tagebuch?
Am Ende unserer "Lesung" bin ich auf die Einschätzung von Ihnen, die hier mein Lese-Experiment, mit verfolgen, sehr gespannt!
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BEIDE, Max Frisch wie auch Italo Calvino in seinem Roman Wenn ein Reisender in einer Winternacht adressieren ihre[n] Leser[in] gleich im ersten hin geschriebenen Satz.
Und dennoch wählen beide Schriftsteller doch bewusst verschiedene Protagonisten:
Calvino`s Protagonist ist im gesamten Roman, stets der Leser selbst. Durchgängig adressiert er ihn, das DU, das imaginäre Gegenüber, das Lese-Publikum. Das macht er schon in diesen ersten Sätzen klar, denn in dem Stil geht es weiter. Er fordert seinen Leser auf, sich erst einmal eine bequeme Lesehaltung zu suchen, die Lampe richtig einzustellen, später listet er alle Widerstände auf, die sich dem Lesen entgegenstellen usw. usf.
Frisch dagegen macht durch die bewusste Auswahl jener ersten zehn Zeilen unmissverständlich klar; drückt seine Botschaft, die er bei Montaigne entlehnt, seinem Leser mehrfach auf die Augen: Er ist gewillt über sich selbst zu schreiben. Er selbst ist der Protagonist. Das kommt drei Mal in den zehn Zeilen so überdeutlich, dass eine[r], der zu lesen beginnt, es nicht übersehen kann. Und damit auch nicht, dass er, Max Frisch als Autor, zugleich der Erzähler und die handelnde Roman-Hauptfigur , also der Protagonist, ist.
Interessant scheint mir,
was Frisch über den Umgang mit dem Leser, mit seinem "imaginären Publikum" schreibt [das weiß ich zufällig schon, weil ich heute Morgen, kaum dass der junge Tag erwacht, mir den Roman [´Mon´to:k – gesprochen] griff, mich in meine Wohnküche verkrümelte, als alles noch im häuslichen Dornröschenschlaf. Ansonsten hätte ich es wohl wie Calvino laut gesagt, wenn nicht sogar geschrien: "Ich lese! Ich will nicht gestört werden! Ich fang gerade an den Roman ´Mon´to:k von Max Frisch zu lesen!"
So war ich froh, in Ruhe weiter lesen zu können, meine halbe tägliche Stunde, die ich mir verordnet wie ein Arzt seinem Patienten: "Einmal täglich, Max Frisch. ´Mon´to:k. Bitte nicht auf nüchternen Magen. Am besten, Sie nehmen die dreißig Minuten bei einer Tasse Cappuccino oder Latte Macchiato ein. Kaffee oder Tee geht selbst verständlich auch. Ideal wäre, immer zur gleichen Uhrzeit, also morgens oder gleich nach dem Mittagessen, nachmittags ´Mon´to:k einzunehmen!"
So las ich ungestört die nächsten neunzehn Seiten. Nach dem ersten verordneten Lesedrittel des heutigen Tages war ich an der Stelle angelangt, bei der auch ein Max Frisch gesteht, ein "imaginäres Publikum" zu benötigen, um schreiben zu können [so wie ich auch ;-) – aber vermutlich braucht das ein jede[r], der schreibt, [s]ein imaginäres Publikum!? Dazu würde ich gern die sehr geschätzte Meinung all jener hören, die tatsächlich vom Schreiben, also vom Schriftstellern im engeren Sinne, leben. Manch eine[r] besucht ja auch manchmal mein Blog [worüber ich mich sehr geehrt fühle] und liest hier [manchmal * hin und wieder * sporadisch ;-)] mit, hinterläßt auch einen Kommentar oder schreibt eine kleine E-mail. Ich will jetzt keine[n] bestimmte[n] benennen. Ich liefe sonst Gefahr, irgendeine[n] zu vergessen und das wäre mir unangenehm, sehr unangenehm. Vielleicht outet sich ja mal eine[r], während meines Montauk-Lese-Experiments. Wer weiß!? Schaung` mer mal ;-)
Jedenfalls bekennt Frisch (auf Seite 1542), "die Wahrheit ist, dass ich schreibe, um mich auszudrücken. Ich schreibe für mich. Die Gesellschaft, welche auch immer, ist nicht mein Dienstherr, ich bin nicht ihr Priester oder auch nur Schulmeister. Öffentlichkeit als Partner? Ich finde glaubwürdigere Partner. Also nicht weil ich meine, die Öffentlichkeit belehren oder bekehren zu müssen, sondern weil man, um sich überhaupt zu erkennen, ein imaginäres Publikum braucht, veröffentliche ich. Im Grunde schreibe ich aber für mich selbst…"
Diese Zeilen sind mir ein Indiz dafür, dass Frisch ursprünglich [und das möchte ich ausdrücklich betonen, daher setze ich dieses Wort in fetter Schrift] nur für sich geschrieben hat. Der Beweis findet sich auch in jenem Einstiegszitat von Montaigne >>> hier in dem zweiten Satz des Zitat "Ich habe es dem persönlichen Gebrauch meiner Freunde und Angehörigen gewidmet, wenn sie mich verloren haben"<<<
Dies treibt mich zu der Kernfrage:
Hatte Frisch ursprünglich gar nicht vor, zu seinen Lebzeiten diese Erzählung zu veröffentlichen? Schrieb er in bester Absicht nur für die Schublade und damit wirklich für sich selbst?
Ist es ein Zufall, meine lieben Leser[innen], dass ich erst jetzt, beim Zurückblättern, beim Suchen dieses Montaigne`schen Anfangs-Zitats den Titel aufblättere? DA steht groß und deutlich:
Dennoch hinterfrage ich kritisch: Ist diese "Geschichte" wirklich eine Erzählung? Ist sie nicht doch ein Roman? Was ist e s ? Am Ende gar eine Autobiografie? Eine Art viertes Tagebuch?
[Denn wir alle wissen, spätestens seit jenem Hinweis vom Bücherblogger: Max Frisch hat Tagebuch geschrieben und immerhin drei wurden veröffentlicht!] Kann es sein, dass Montauk eine Art verkapptes Tagebuch ist?
Nun denn, wir werden es sehen, liebe Leser[innen], wie Sie und ich, die wir im Verlauf der nächsten Zeit dieses Werk rezipieren, wie wir dieses M o n t a u k wahrnehmen: wirklich als Erzählung? Oder eher als Roman? Oder doch wie ein chronistisch-literarisch geschriebenes Tagebuch?
Am Ende unserer "Lesung" bin ich auf die Einschätzung von Ihnen, die hier mein Lese-Experiment, mit verfolgen, sehr gespannt!
Teresa HzW - 5. Apr, 16:14 - Rubrik [Post]Moderne
Nachdenkliches für die Leseratte
Doch im Ernst: Sie stellen eine gute Frage, auf die ich spontan gar keine zufrieden stellende Antwort weiß. Darüber lohnte es sich einmal länger nachzudenken…
Andererseits, falls Sie einmal hinüber wandern in meine virtuelle Bibliothek, so finden Sie dort viele Bücher von "noch sehr lebendigen" Autorinnen und Autoren. Vielleicht ist es einfacher über verstorbene Schriftsteller zu schreiben?
Da man sich mit Ihnen leichter auseinandersetzen kann als mit den Lebenden?
Würde ich hier einen Quieklebendigen [quasi Öffentlich] lesen, wer weiß... fühlte er sich gegebenenfalls nicht angegriffen? Wäre vielleicht erbost, weil Dinge in sein Werk hinein gelesen werden, die er so gar nicht hinein gelesen haben wollte?
Mit den Toten ist es da leichter. Die können sich nicht wehren. In die kann man hinein interpretieren. Die lassen sich sezieren und auseinander nehmen und wieder neu mit anderem zusammensetzen. Ob das einem unter uns weilenden Autor, einer Autorin gefiele?
David Grossmann....Eine Frau flüchtet vor einer Nachricht
@Sturznest
Wenn Sie es empfehlen, werden Sie den Roman[?] von David Grossmann gelesen haben?