Grüner Hügel

Ich sitze auf [m]einem Grünen Hügel und blicke ins Land: über Getreidefelder, deren Ähren sich im Winde wiegen, über mannshohe, blickdichte Maisäcker, über Weinreben, die in den Himmel ranken und über Obstbäume, die über voll mit Äpfeln, Birnen, Quitten hängen…

Der Blick schweift dahin bis hinauf zum Abendstern, der um diese Uhrzeit bereits zwischen Wolkenbänken hindurch blitzt. Der lieblichste der Sterne, der sein sanftes Licht entsendet in die Ferne, bis hinan auf meinen Grünen Hügel, auf dem die mächt`ge Burg thronet. Wo sie versammelt, der Sänger Schar beim Landgrafen von Thüringen: Wolfram von Eschenbach, Heinrich von Ofterdingen und Walter von der Vogelweide, die um die Gunst der schönen Elisabeth wettsingen:

"Die nächt'ge Dämmrung teilt dein lieber Strahl,
und freundlich zeigst den Weg du aus dem Tal. -
O du, mein holder Abendstern,
wohl grüßt' ich immer dich so gern:
vom Herzen, das sie nie verriet,
grüß sie, wenn sie vorbei dir zieht,
wenn sie entschwebt dem Tal der Erden,
ein sel'ger Engel dort zu werden!"



Wer den Sängerwettstreit für sich entscheidet, vermag ich nicht zu verraten. Nur, dass es eine der schönsten romantischen Opern ist: Tannhäuser. Es ist die erste von drei Romanzen, die Richard Wagner einst komponierte [danach folgte Lohengrin und der Fliegende Holländer]. Vor 120 Jahren, im Jahr 1891, wurde sie erstmals aufgeführt.
Heute eröffnet sie am Grünen Hügel die hundertsten Bayreuther Festspiele. Zum dritten Mal in Folge entschied man sich dort [nach 1985 und 2002] für die Aufführung in der Dresdner Fassung. Es ist die einzige Oper Wagners, bei der man unter mehreren Fassungen wählen kann [z.B. einer Pariser].

Wunderbar der zweite Akt: die Hörner, der Posaunenchor, der Chor der Sirenen. [Ich liebe Opern, in denen Chöre starke Auftritte haben, unterstützt vom Jagdruf der Hörner und Trompeter wie in diesem 2. Akt. Einfach Wunderbar!]

Eine wunderbare Story lässt nicht nur meine Blicke schweifen, sondern auch meinen Geist seit Stunden durch die Geschichte schweben:
Tannhäuser eine Parabel über Freiheit, Ethik, Kunst und Künstler. Die mystische Figur des Wolfram von Eschenbach, das Alter Ego zu Heinrich von Ofterdingen, kurz Tannhäuser genannt. Was Tannhäuser liebt, lehnt Wolfram ab und umgekehrt. Er ist es auch, der Tannhäuser immer wieder in die raue Wirklichkeit zurückholt. Denn Tannhäuser verkörpert in der Wagneroper die zarte, empfindsame Künstlernatur. Er strebt die äußerste Form der Freiheit an und muss sich doch von ihr abwenden, als er erkennt, dass die konventionelle Freiheit auch in eine Sackgasse führt, weil sie die Kreativität und den weiteren künstlerischen Fortschritt erstickt. Doch es gibt kein Zurück mehr für ihn, er findet keinen Platz mehr in der Gesellschaft der braven Bürger, weil er zu sehr die konservative Gesellschaft in Frage gestellt hat...
[Wie aktuell denke ich mir! Aus meiner kleinen schwäbischen Froschperspektive in die Geschichte geäugt!]
Doch auch sein Alter Ego, Wolfram von Eschenbach, macht ähnlich bitt`re Erfahrung. In der dramatischen Gegenwart des zweiten Akts muss er erkennen, dass er Elisabeth, die Nichte des Landgrafen, vergeblich liebt, sie seine Liebe nicht erwidern kann, weil sie aus tiefstem Herzen Tannhäuser liebt. Wolfram entsagt aus der Bruderliebe zu Tannhäuser auf immer seiner Liebe zu ihr. Er will sich nur noch in Anbetung seiner unerfüllten Liebe ergehen und den Kampf mit den dunklen Mächten, den verborgenen Kräften [der Liebe] aufnehmen. Ebnet ihm dieser Verzicht den Weg in die Weisheit? Oder war der Verzicht Teil einer Prüfung?
Bei Wagner geht Wolfram fortan als einsamer Einzelgänger durch die Welt, um irgendwann dem Irdischen zu entsagen? Eine beinahe heilige Lichtgestalt? Eine mystische Figur?

Lauschen wir hinein…wenn Sie mögen… auf allen Klassikkanälen der ARD können Sie die Eröffnungspremiere der Bayreuther Festspiele bis 22:30 Uhr live mit verfolgen [momentan, 19:15 Uhr, sind wir mitten im zweiten Akt]…

Alle mir geneigten Leserinnen und Leser, die hier noch auf einen Kommentar oder auf eine E-Mail-Antwort von mir warten, bitte ich, sich angesichts dieses Hörgenuss, bis morgen zu gedulden, dann werde ich mich wieder im irdischen Leben und zuerst bei Ihnen zurück melden….

2. Akt, Dritte Szene
Wolfram
Heinrich! Du?
Was bringt dich her in diese Nähe? Sprich!
Wagst du es, unentsündigt wohl den Fuß
nach dieser Gegend herzulenken?
Tannhäuser
Sei außer Sorg', mein guter Sänger! -
Nicht such' ich dich noch deiner Sippschaft einen.
Doch such' ich wen, der mir den Weg wohl zeige,
den Weg, den einst so wunderleicht ich fand --
Wolfram
Und welchen Weg?
Tannhäuser [mit unheimlicher Lüsternheit]
Den Weg zum Venusberg!
Wolfram
Entsetzlicher! Entweihe nicht mein Ohr!
Treibt es dich dahin?
Tannhäuser
Kennst du wohl den Weg?

Wolfram
Weh, böser Zauber tut sich auf!
Die Hölle naht in wildem Lauf.
Tannhäuser
Entzücken dringt durch meine Sinne,
gewahr' ich diesen Dämmerschein;
dies ist das Zauberreich der Minne,
im Venusberg drangen wir ein!
In heller, rosiger Beleuchtung wird Venus, auf einem Lager ruhend, sichtbar.
Venus
Willkommen, ungetreuer Mann!
Schlug dich die Welt mit Acht und Bann?
Und findest nirgends du Erbarmen,
suchst Liebe nun in meinen Armen?
Tannhäuser
Frau Venus, o, Erbarmungsreiche
Zu dir, zu dir zieht es mich hin!
Wolfram
Du Höllenzauber, weiche, weiche!
Berücke nicht des Reinen Sinn!
Venus
Nahst du dich wieder meiner Schwelle,
sei dir dein Übermut verziehn;
ewig fließt dir der Freuden Quelle,
und nimmer sollst du von mir fliehn!
Tannhäuser
Mein Heil, mein Heil hab'ich verloren,
nun sei der Hölle Lust erkoren!
Wolfram [ihn heftig zurückhaltend]
Allmächt'ger, steh dem Frommen bei!
Heinrich, - ein Wort, es macht dich frei -:
dein Heil -!
Venus
Zu mir!
Tannhäuser [zu Wolfram]
Laß ab von mir!
Venus
O komm! Auf ewig sei nun mein!
Wolfram
Noch soll das Heil dir Sünder werden!
Tannhäuser
Nie, Wolfram, nie! Ich muß dahin!
Wolfram
Ein Engel bat für dich auf Erden -
bald schwebt er segnend über dir:
Elisabeth!


In Bayreuth, am Grünen Hügel, eilt man nun zu Fränkischen Würstchen und Bier, um 20:17 Uhr geht es live weiter mit der romantischen Tragödie im Dritten und letzten Akt:
Wolfram
Wohl wußt' ich hier sie im Gebet zu finden,
wie ich so oft sie treffe, wenn ich einsam
aus wald'ger Höh' mich in das Tal verirre. -
Den Tod, den er ihr gab, im Herzen,
dahingestreckt in brünst'gen Schmerzen,
fleht für sein Heil sie Tag und Nacht: -
o heil'ger Liebe ew'ge Macht! -
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