Montauk VIII – Eros` Macht
Das Hundert-Sekunden-Beispielvideo, welches das Schweizer Fernsehen als Anregung für literarische Hobby-Video-Filmer zum Max-Frisch-Video-Wettbewerb drehte, assoziiert fünf Schlagworte mit ganz bestimmten Romanen, Erzählungen oder Theaterstücken aus dem großen Werk von Max Frisch. Da wird etwa der Begriff Einsamkeit mit Andorra verbunden, Zweifel mit Gantenbein, Identität mit Stiller, Suche mit Homo Faber und Eros mit Montauk.
Eros ist der Gott der begehrlichen Liebe in der griechischen Mythologie. Ihm entspricht der göttliche Amor in der römischen Mythologie. Der Pfeil des Amor traf Frisch wie ein Blitzschlag auf seiner Lesereise in den USA in jenem Frühjahr 1974.
Dennoch liest Montauk sich für mich nicht wie eine "große Liebe", der einer begegnet, sondern eher wie die Macht der sexuellen Anziehung, die in Montauk durch Äußeres statt durch Inner[lich]es bestimmt wird. Es ist die Macht der erotischen Ausstrahlung der Jugend, einer jungen, 31-jährigen Frau, die im Protagonisten, den 63jährigen, alternden Schriftsteller, durch ihr feuerrotes Haar und andere äußerliche Merkmale das Feuer des körperlichen Begehrens entfacht:
"Sie steht in ihrer Kitchenette, Geschirr in beiden Händen, im Augenblick wehrlos. Farbe ihrer Augen: wie heller Schiefer unter Wasser." (S. 1564)
oder
"Beim Sprung über einen Tümpel hat sich der Knoten ihres Haares gelöst; ihr rotes Haar (hagebuttenrot) fällt jetzt offen über ihren Rücken." (S. 1554)
"Eros nur durch Äußeres bestimmt?" - könnte eine[r] von Ihnen, geschätze[r] Leser[in], nachdenklich fragen.
JA! Denn wir, Leser[innen], erfahren zu wenig über die inneren Gefühle der beiden Protagonisten.
Gleich ob man den männlichen Erzähler-Protagonisten nun mit Max Frisch gleich setzt oder ihn für eine autobiografische vom Autor inspirierte oder tatsächlich für eine komplett erfundene Figur hält, wir Leser[innen] erfahren kaum etwas über das Innenleben dieses Protagonisten in Bezug auf jene Frau, jene Lynn. Alles, was wir erfahren, sind Äußerlichkeiten.
Der Erzähler-Protagonist gibt nicht wirklich sein Inneres preis, sondern verrät nur Äußerlichkeiten, die ihm an Lynn gefallen und ihn daher anziehen und reizen: "Ihr nackter Körper ist mädchenhafter als ihr Gesicht" (S. 1582). Die Macht der sexuellen Anziehung – ausgelöst durch die Physiognomie, die Bewegung, die Ausstrahlung – in jenen Tagen zu Beginn der 1970er vielleicht auch durch die Kleidung - eines Menschen, denn nicht nur ihre Haare auch ihre "Zotteljacke" sind immer wieder [s]ein Schreibthema.
Vieles deutet der Erzähler auch nur an. Subtil.
Objektiv erfährt ein[e] Leser[in] wenig über die innere Macht der Anziehung. Dafür erscheint mir die Beschreibung zu dünn, zu vage. Der Erzähler deutet an und begründet lediglich in der Andeutung, warum ihn Lynn anzieht: "Wenn er ihre Schultern fasst, wenn er ihr Haar strafft und mit seinen flachen Händen nach hinten streicht, damit ihre Stirn ganz frei wird, lesbar als Stirn eines vertrauten Menschen, oder wenn er ihre rötlichen Brauen nachzeichnet mit seinem Finger" (auf Seite 1599) – dann wirkt ein solcher Satz [auf mich] so, wie er es im weiteren Verlauf dieser Textstelle beschreibt: "ohne Zweifel….Zärtlich..."
Worin besteht die Montauk[sche] Macht des Eros?
Vielleicht in Textstellen wie diesen (ebenfalls auf S. 1599):
"You are watching me", sagt Lynn, die merkt, dass er sie ständig still beobachtet, "…die junge Fremde, sein Gefühl vertauscht sie nicht mit andern, wenn er ihren Körper küsst, bis sie ihn zu sich zieht. Ihr Haar auf seinem Gesicht, der weite und weiche Mund, ihre jetzt schmalen Augen, die plötzliche Ähnlichkeit aller Frauen im Augenblick der Lust."
P.S.:
Der Gedanke beschäftigte mich weiter... H I E R in der Folge IX meines Max-Frisch-Lese-Experiments lesen Sie die weitere gedankliche Auseinandersetzung mit Eros` und Amor`s Pfeil in Montauk...
Wer glaubt, in der Tierwelt sei dies einfacher, weil Tiere vom animalischen Trieb beseelt, irrt, wie folgende wahre Geschichte, aufbereitet in Montauk-Folge-X über das Fracksausen zeigt ;-)
3042 mal gelesen
Eros ist der Gott der begehrlichen Liebe in der griechischen Mythologie. Ihm entspricht der göttliche Amor in der römischen Mythologie. Der Pfeil des Amor traf Frisch wie ein Blitzschlag auf seiner Lesereise in den USA in jenem Frühjahr 1974.
Dennoch liest Montauk sich für mich nicht wie eine "große Liebe", der einer begegnet, sondern eher wie die Macht der sexuellen Anziehung, die in Montauk durch Äußeres statt durch Inner[lich]es bestimmt wird. Es ist die Macht der erotischen Ausstrahlung der Jugend, einer jungen, 31-jährigen Frau, die im Protagonisten, den 63jährigen, alternden Schriftsteller, durch ihr feuerrotes Haar und andere äußerliche Merkmale das Feuer des körperlichen Begehrens entfacht:
"Sie steht in ihrer Kitchenette, Geschirr in beiden Händen, im Augenblick wehrlos. Farbe ihrer Augen: wie heller Schiefer unter Wasser." (S. 1564)
oder
"Beim Sprung über einen Tümpel hat sich der Knoten ihres Haares gelöst; ihr rotes Haar (hagebuttenrot) fällt jetzt offen über ihren Rücken." (S. 1554)
"Eros nur durch Äußeres bestimmt?" - könnte eine[r] von Ihnen, geschätze[r] Leser[in], nachdenklich fragen.
JA! Denn wir, Leser[innen], erfahren zu wenig über die inneren Gefühle der beiden Protagonisten.
Gleich ob man den männlichen Erzähler-Protagonisten nun mit Max Frisch gleich setzt oder ihn für eine autobiografische vom Autor inspirierte oder tatsächlich für eine komplett erfundene Figur hält, wir Leser[innen] erfahren kaum etwas über das Innenleben dieses Protagonisten in Bezug auf jene Frau, jene Lynn. Alles, was wir erfahren, sind Äußerlichkeiten.
Der Erzähler-Protagonist gibt nicht wirklich sein Inneres preis, sondern verrät nur Äußerlichkeiten, die ihm an Lynn gefallen und ihn daher anziehen und reizen: "Ihr nackter Körper ist mädchenhafter als ihr Gesicht" (S. 1582). Die Macht der sexuellen Anziehung – ausgelöst durch die Physiognomie, die Bewegung, die Ausstrahlung – in jenen Tagen zu Beginn der 1970er vielleicht auch durch die Kleidung - eines Menschen, denn nicht nur ihre Haare auch ihre "Zotteljacke" sind immer wieder [s]ein Schreibthema.
Vieles deutet der Erzähler auch nur an. Subtil.
Objektiv erfährt ein[e] Leser[in] wenig über die innere Macht der Anziehung. Dafür erscheint mir die Beschreibung zu dünn, zu vage. Der Erzähler deutet an und begründet lediglich in der Andeutung, warum ihn Lynn anzieht: "Wenn er ihre Schultern fasst, wenn er ihr Haar strafft und mit seinen flachen Händen nach hinten streicht, damit ihre Stirn ganz frei wird, lesbar als Stirn eines vertrauten Menschen, oder wenn er ihre rötlichen Brauen nachzeichnet mit seinem Finger" (auf Seite 1599) – dann wirkt ein solcher Satz [auf mich] so, wie er es im weiteren Verlauf dieser Textstelle beschreibt: "ohne Zweifel….Zärtlich..."
Worin besteht die Montauk[sche] Macht des Eros?
Vielleicht in Textstellen wie diesen (ebenfalls auf S. 1599):
"You are watching me", sagt Lynn, die merkt, dass er sie ständig still beobachtet, "…die junge Fremde, sein Gefühl vertauscht sie nicht mit andern, wenn er ihren Körper küsst, bis sie ihn zu sich zieht. Ihr Haar auf seinem Gesicht, der weite und weiche Mund, ihre jetzt schmalen Augen, die plötzliche Ähnlichkeit aller Frauen im Augenblick der Lust."
P.S.:
Der Gedanke beschäftigte mich weiter... H I E R in der Folge IX meines Max-Frisch-Lese-Experiments lesen Sie die weitere gedankliche Auseinandersetzung mit Eros` und Amor`s Pfeil in Montauk...
Wer glaubt, in der Tierwelt sei dies einfacher, weil Tiere vom animalischen Trieb beseelt, irrt, wie folgende wahre Geschichte, aufbereitet in Montauk-Folge-X über das Fracksausen zeigt ;-)
Teresa HzW - 18. Apr, 12:22 - Rubrik [Post]Moderne